Diese Auswirkungen hat Bilingualität auf uns
Schon als Babys lernen wir, uns in unserer Muttersprache zu verständigen. Haben die Eltern ausländische Wurzeln oder lebt die Familie in einem oder mehreren Ländern, wachsen die Kinder aber oft mit zwei oder sogar mehr Sprachen auf. Doch welche Auswirkungen hat Bilingualität auf uns? Hat es Vorteile, wenn wir mindestens zwei Sprachen sprechen? Und gibt es auch Nachteile?
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Kommunikativ zunächst im Nachteil
Schätzungen zufolge sprechen 60 bis 75 Prozent der Menschen weltweit zwei Sprachen. In Deutschland beherrschen etwa 40 Prozent zwei Sprachen fließend, bei rund 25 Prozent der Deutschen sind es drei oder sogar noch mehr Sprachen.
Dabei kann der Großteil der Leute, die mehrsprachig aufgewachsen sind, neben Deutsch Russisch, Türkisch oder Polnisch.
Zwei Sprachen gleichzeitig zu erlernen, stellt das Gehirn eines Kleinkindes aber vor eine gewaltige Aufgabe. Aus diesem Grund hinken bilingual erzogene Kleinkinder ihren Altersgenossen kommunikativ oft zunächst hinterher.
Während Kinder, die einsprachig aufwachsen, die Muster, die für eine Sprache typisch sind, schneller erfassen, brauchen bilinguale Kleinkinder dafür länger.
Studien belegen, dass zweisprachig aufwachsende Kleinkinder dadurch meistens nicht nur später anfangen zu sprechen, sondern auch beim Wortschatz und der Grammatik langsamer Fortschritte machen.
Der Wortschatz in den jeweiligen Sprachen ist bei bilingualen Kleinkindern über verschiedene Altersstufen hinweg kleiner als der von gleichaltrigen Kindern, die mit einer Sprache aufgewachsen sind.
Trotzdem besteht kein Anlass zur Sorge. Denn zweisprachige Kinder holen den Rückstand im Laufe der Zeit auf. Die Forschung vermutet, dass die Kinder versuchen, möglichst lange flexibel zu bleiben, um die unterschiedlichen Sprachlaute verarbeiten zu können.
Mehr Kreativität durch Zweisprachigkeit
Bilingualität hat verschiedene Auswirkungen auf unser Gehirn. Ein Effekt könnte sein, dass wir kreativer werden.
In einer Studie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt sollten die Probanden die Bedeutung von frei erfundenen Wörtern erraten. Ein Begriff lautete etwa „Spinnen-Cafeteria“.
Die zweisprachig aufgewachsenen Teilnehmer hatten kreativere Einfälle. Wie kommt das? Die Forscher gehen davon aus, dass bei Mehrsprachigen die Sprachaktivität im Gehirn insgesamt größer ist.
Dadurch ist ihre Fähigkeit, flexibel zu assoziieren, ausgeprägter. Denn Kreative denken nicht unbedingt linear, sondern streuen ihre Gedanken breiter. So kommen sie eher auf originelle Ideen.
Ein ähnliches Ergebnis brachte eine Studie, bei der sich die Teilnehmer Objekte merken sollten. Die Probanden bestanden aus Leuten, die nur Englisch sprechen, und Leuten, die Englisch und Spanisch sprechen.
Das Besondere war, dass die Namen der gezeigten Objekte entweder in beiden Sprachen oder nur auf Englisch so ähnlich klangen wie die Bezeichnungen der Zielobjekte.
Bei einer Kerze (englisch: candle) als Zielobjekt zum Beispiel wurden zusätzlich Bilder von Süßigkeiten (englisch: candy) und einem Vorhängeschloss (spanisch: candado) gezeigt.
Die zweisprachigen Teilnehmer konnten sich mehr Objekte merken. So erinnerten sie sich etwa an die Süßigkeiten und das Vorhängeschloss, während die rein Englischsprachigen nur die Süßigkeiten abrufen konnten.
Als Erklärung nimmt das Forscherteam an, dass die zweisprachigen Studienteilnehmer bessere Eselsbrücken bauen können, weil sie auf einen größeren Wortschatz zurückgreifen können.
Länger gesundes Gehirn
Offenbar hält uns Bilingualität sowohl geistig als auch körperlich fit. Untersuchungen haben ergeben, dass Zweisprachige im Durchschnitt fünf Jahre später an Demenz erkranken.
Bei einem Schlaganfall tragen sie nur halb so oft Beeinträchtigungen davon wie Einsprachige.
Auf Gehirnscans ist sichtbar, dass zweisprachige Personen in bestimmten Bereichen mehr graue und weiße Hirnsubstanz haben. Außerdem sind einige der Hirnareale stärker miteinander vernetzt.
Diese gestärkten Hirnbereiche können Funktionen, die beschädigt sind, zum Teil übernehmen. Dadurch bleibt das Gehirn insgesamt länger gesund. Möglicherweise sind solche Schutzwirkungen eine direkte Folge davon, dass unser Gehirn durch den Umgang mit mehreren Sprachen gelernt hat, sich an die zusätzliche Anstrengung anzupassen.
Emotionale contra logische Entscheidungen
Wachsen wir mit zwei oder mehr Sprachen auf, hat das auch Einfluss darauf, ob wie eher emotional oder eher rational handeln. Eine Studie der University of Chicago hat ergeben, dass wir in einer Fremdsprache dazu tendieren, nach logischen Aspekten zu entscheiden.
So wurde den Teilnehmern die Anleitung für ein Glücksspiel, bei dem Münzen geworfen wurden, vorgelegt. 71 Prozent der Teilnehmer, die die Spielanleitung in ihrer Muttersprache gelesen hatten, entschieden sich gegen den Münzwurf.
In einem anderen Test wurden die Teilnehmer mit einer fiktiven Situation konfrontiert. Demnach sollten sie sich vorstellen, sie stehen auf einer Brücke über einem Bahngleis.
Auf diesem Gleis sind fünf Menschen angebunden und ein Zug kommt direkt auf sie zu. Ebenfalls auf der Brücke steht eine korpulente Person. Würden sie diese Person von der Brücke auf das Gleis schubsen, würde das den Zug aufhalten und die fünf Menschen retten.
Die Teilnehmer sollten angeben, ob sie die Person von der Brücke stoßen würden. Dabei wurde einem Teil der Teilnehmer die Szene in ihrer Muttersprache geschildert und dem anderen Teil in einer Fremdsprache.
Auch hier zeigte sich, dass die Teilnehmer in der Muttersprache eher zögerten, während die Teilnehmer in der Fremdsprache weniger Hemmungen hatten, die Person auf das Gleis zu stoßen.
Die Forscher vermuten, dass die Muttersprache, die wir in der Familie lernen, enger mit Gefühlen und der eigenen Kultur verknüpft ist.
Im Unterschied dazu ist eine Fremdsprache, die wir oft in der sachlichen Umgebung eines Klassenraums gelernt haben, weniger emotional besetzt. Vielleicht sollten wir also bei Entscheidungen, die ein möglichst rationales Abwägen erfordern, künftig besser in einer Fremdsprache überlegen?
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