Ist Übersetzen eine gute Übungsmethode?

Ist Übersetzen eine gute Übungsmethode? 

Wer an seine Schulzeit zurückdenkt, erinnert sich vielleicht noch daran, wie er stundenlang damit beschäftigt war, irgendwelche Texte ins Deutsche zu übersetzen. Im Lateinunterricht beispielsweise war das an der Tagesordnung. Aber auch im Englisch- oder Französischunterricht stand das Übersetzen regelmäßig auf dem Programm. Der Grund hierfür war, dass das Übersetzen lange Zeit als optimale Methode galt, um eine Fremdsprache zu lernen.

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Inzwischen hat sich diese Haltung geändert. Heute besteht das Ziel beim Lernen einer Sprache nicht mehr darin, in der Lage zu sein, Texte Wort für Wort in eine andere Sprache zu übertragen. Stattdessen zielt das Sprachenlernen darauf ab, kommunikative Fähigkeiten zu entwickeln. Der Lernende soll sich das Wissen aneignen, das er benötigt, damit er die Fremdsprache im Alltag nutzen kann. Der aktive Einsatz der Sprache als Verständigungsmittel steht also im Vordergrund.

Nichtsdestotrotz wäre es falsch, das Übersetzen als Lernmethode komplett vom Lehrplan zu streichen. Ganz im Gegenteil können Übungen, bei denen es gilt, Sätze aus einer Fremdsprache ins Deutsche zu übertragen oder umgekehrt Sätze aus dem Deutschen in eine Fremdsprache zu übersetzen, das Sprachenlernen sinnvoll und effektiv ergänzen. Zumal gerade diese Fähigkeit auch im Alltag immer wieder benötigt wird.

So kann es beispielsweise sein, dass der Lernende ein Formular ausfüllen muss oder einen Brief von einem Unternehmen oder einem Amt bekommt. Vielleicht fragt ihn aber auch ein Bekannter oder ein Arbeitskollege, wie ein bestimmter Ausdruck in seiner Muttersprache heißt. In solchen Situationen macht der Lernende nichts anderes, als von einer Sprache in eine andere Sprache zu übersetzen. 

 

In der Fremdsprache fehlt die Sicherheit

Grundsätzlich ist es deutlich schwieriger, von seiner Muttersprache aus in eine Fremdsprache zu übersetzen als andersherum. Jemand, der gerade Deutsch lernt, tut sich also leichter, wenn er einen deutschen Text in seine Muttersprache überträgt. Im Unterschied dazu ist es für ihn schwerer, einen Text in seiner Muttersprache ins Deutsche zu übersetzen. Der Grund hierfür ist, dass sich der Lernende in seiner Muttersprache am sichersten fühlt.

Seine Muttersprache beherrscht er, mit ihr kann er umgehen, für seine Muttersprache hat er ein gutes Gefühl und der Wortschatz ist umfangreich. Beim Deutschen als Fremdsprache fehlt diese Sicherheit. Das ist übrigens auch die Erklärung dafür, warum professionelle Literaturübersetzer in erster Linie aus dem Deutschen in ihre Muttersprache übersetzen. Denn in ihrer Muttersprache können sie mit der Sprache spielen, um so bestimmte Stimmungen zu erzeugen oder Dinge zwischen den Zeilen auszudrücken.

Im normalen Berufsalltag hingegen steht oft der umgekehrte Weg an. So muss der Deutschlernende aus seiner Muttersprache heraus ins Deutsche übersetzen, um sich verständlich zu machen und mit seinen Kollegen oder Vorgesetzten auszutauschen. Deutschsprachige Mitarbeiter wiederum müssen Geschäftsbriefe und E-Mails in eine Fremdsprache wie Englisch, Französisch oder Spanisch übertragen, wenn sie mit internationalen Geschäftspartnern kommunizieren.

 

Wörtliche Übersetzungen sind nicht immer möglich

Überträgt der Lernende einen deutschen Text in seine Muttersprache, ist die größte Herausforderung, ihm unbekannte Wörter oder sprachspezifische Ausdrücke zu übersetzen. Geht es dabei nur um einzelne Vokabeln, lässt sich diese Schwierigkeit mit einem Wörterbuch als Hilfsmittel noch gut meistern.

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Problematischer wird es, wenn es sich um Redewendungen, feststehende Begriffe oder kulturspezifische Ausdrücke handelt. Denn manche Bilder sind in anderen Sprachen einfach unüblich, bei anderen Redewendungen gibt es keine passende Entsprechung. Hier kann der Lernende deshalb nicht wörtlich übersetzen, sondern muss Formulierungen finden, die ein sinngemäßes Übersetzen erlauben. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Lernende die Bedeutung des jeweiligen Ausdrucks versteht.

 

Der passive Wortschatz ist größer als der aktive

Übersetzt der Lernende einen Text aus seiner Muttersprache ins Deutsche, liegen die Schwierigkeiten an anderer Stelle. Im Ausgangstext gibt es keine offenen Fragen oder Verständnisprobleme. Allerdings macht sich der Unterschied zwischen dem aktiven und dem passiven Wortschatz bemerkbar.

Würde der Lernende eine Vokabel wie Telefonkabel in einem deutschen Text lesen, könnte er sich die Bedeutung dieses Wortes wahrscheinlich aus dem Zusammenhang erschließen oder von anderen, ihm bekannten Wörtern herleiten. Bis der Lernende diese Vokabel aktiv und bewusst einsetzen kann, dauert es aber deutlich länger. Die Sache mit dem aktiven und dem passiven Wortschatz gilt allerdings für jede Sprache.

Auch in der Muttersprache ist der passive Wortschatz sehr viel größer als der Wortschatz, den der Sprecher aktiv verwendet. Beim Übersetzen ins Deutsche kommt für den Lernenden aber noch dazu, dass er nicht nur die richtigen Vokabeln finden, sondern auch noch die Grammatikregeln, etwa was die Personalform, den Artikel, die Zeit oder die Satzstellung angeht, beachten muss.

 

Ist Übersetzen denn nun eine gute Übungsmethode oder nicht?

Insgesamt war, ist und bleibt das Übersetzen von der Muttersprache ins Deutsche und zurück eine gute Übung. Der Lernende trainiert dadurch nämlich sein Sprachverständnis und seinen Wortschatz. Zudem fördert das Übersetzen den Umgang mit und das Gefühl für die deutsche Sprache. Und nicht zuletzt ist das Übersetzen eine gute Möglichkeit, um zu prüfen, wie gut die Sprachkenntnisse tatsächlich sind.

Allerdings sollte der Lernende klein anfangen. Es macht wenig Sinn, wenn er sich gleich einen anspruchsvollen Artikel aus einer Fachzeitschrift oder einen großes literarisches Werk vornimmt. Der Lerneffekt bleibt auf der Strecke, wenn der Lernende jedes zweite Wort nachschlagen muss und die Grammatikstrukturen noch nicht durchschaut.

Besser ist, wenn der Lernende in alltäglichen Situationen in die Rolle eines Dolmetschers schlüpft, der Gespräche zwischen ausländischen und deutschen Bekannten übersetzt. Genauso kann er ein Kinderbuch übersetzen oder versuchen, seine Lieblingswitze auf Deutsch zu erzählen. An anspruchsvollere Texte kann er sich dann allmählich heranwagen, wenn seine Deutschkenntnisse schon fortgeschritten sind.

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Marlies Giesa, Geboren 1968 , über viele Jahre im In- und Ausland Deutsch unterrichtet. Ich liebe die deutsche Sprache und möchte das Wissen gerne an Schüler, Ausländer, Studenten und Interessierten weitergeben. Ich hoffe meine Übungen und Anleitungen werden ihnen helfen oder sie unterstützen. Canel Gülcan, Studentin Lehramt Deutsch & Germanistik, Christian Gülcan als Betreiber der Webseite, verfasst auch diverse Artikel, da er als Online-Redakteur täglich mit der Erstellung von hilfreichen Content arbeitet für verschiedene Zielgruppen und lange Zeit auch aktiv in der Flüchtlingshilfe, sich um die Vermittlung von Deutschkursen kümmerte.

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