Warum der Rhythmus einer Sprache beim Verstehen hilft
Französisch klingt charmant, Italienisch wirkt melodisch, Russisch erinnert an Gesang und Spanisch ähnelt dem schnellen Stottern eines historischen Fahrzeugs. Schwedisch hört sich unbeschwert und weich an. Und obwohl Deutsch zur gleichen Sprachfamilie gehört, wird es oft als hart empfunden. Doch wie kommt das?
Dass Sprachen unterschiedlich wahrgenommen werden, liegt zum Teil an den verschiedenen Lauten. Eine sehr große Rolle spielen aber auch die Satzmelodie und der Sprachrhythmus. Sprachen unterscheiden sich nämlich nicht nur mit Blick auf die Vokabeln und die Grammatik voneinander.
Auch die Art, wie Silben, Wörter und Satzteile betont werden, ist verschieden. Und der Sprachrhythmus, der sich daraus ergibt, kann beim Verstehen eine wichtige Hilfe sein.
Inhalt
Warum der Rhythmus einer Sprache ein entscheidender Aspekt ist
Der Rhythmus zählt zu den Eigenschaften einer Sprache, die eher unbewusst wahrgenommen werden. Anders als bei der Wortwahl oder der Grammatik denkt der Sprecher nicht großartig darüber nach, wie er Akzente setzt oder wo er Pausen macht. Den Sprachrhythmus bildet er automatisch und nebenbei.
Dabei hat der Rhythmus schon im frühkindlichen Spracherwerb großen Einfluss. Studien haben gezeigt, dass Säuglinge, die nur wenige Tage alt sind, Sprachen anhand der verschiedenen Rhythmen voneinander unterscheiden können.
Und das, obwohl sie nur den Rhythmus wahrnehmen und die Wörter als solches noch gar nicht verstehen.
Der Rhythmus ist somit die erste Eigenschaft einer Sprache, die jemand lernt. Er bildet den Schlüssel, um einzelne Wörter und Satzteile in einem Schwall gesprochener Sprache zu erkennen.
Wie der Rhythmus einer Sprache entsteht
Im ersten Moment bringen die meisten Leute Rhythmus vermutlich mit Musik in Verbindung. Und das ist gar nicht so abwegig. Denn viele Faktoren, die beim musikalischen Rhythmus eine Rolle spielen, bestimmen auch den Rhythmus einer Sprache.
Die Betonung der Silben
Neben dem Tempo, in dem eine Sprache gesprochen wird, wird der Sprachrhythmus stark von der Art und Weise bestimmt, wann welche Silben betont werden.
So gibt es Sprachen, bei denen der Akzent immer auf der gleichen Silbe eines Wortes gesetzt wird. Im Polnischen zum Beispiel wird stets die zweitletzte Silbe betont, im Türkischen ist es die letzte Wortsilbe. Diese Struktur wird auch als fester Wortakzent bezeichnet.
In anderen Sprachen ist der Wortakzent frei. Hier können ganz unterschiedliche Silben eines Wortes betont werden. Im Spanischen beispielsweise kann die Betonung auf eine der drei letzten Silben fallen. Im Deutschen und Englischen wiederum ist der Wortakzent komplett frei. Es kann also praktisch jede Silbe betont werden.
Noch etwas anders ist es im Französischen. Statt jedes Wort einzeln zu betonen, bekommt immer nur die letzte Silbe eines Satzteils einen Akzent. Übertragen auf die Musik, ähnelt die Akzentsetzung damit der Taktart.
Die Länge der Silben
In der Musik trägt auch die Länge der einzelnen Noten zum Rhythmus bei. Bei der Sprache übernehmen die Silben diese Aufgabe. Dabei lassen sich Sprachen an diesem Punkt in zwei Gruppen einteilen.
Die erste Gruppe bilden Sprachen, bei denen betonte und unbetonte Silben nahezu gleichlang ausgesprochen werden. Dadurch sind auch die Abstände zwischen den Silben regelmäßig. Im Italienischen und Spanischen ist das zum Beispiel so.
In die andere Gruppe gehören Sprachen, bei denen betonte Silben länger sind als unbetonte Silben. Dadurch verändern sich auch die Abstände zwischen den Silben, je nachdem, ob sie betont oder unbetont sind. Die deutsche und die englische Sprache sind in dieser Gruppe vertreten.
Der Silbenaufbau
Die Struktur der einzelnen Silben beeinflusst den Sprachrhythmus ebenfalls. So gibt es etwa im Deutschen Silben, die ziemlich kompliziert aufgebaut sind.
Schuld daran sind meist mehrere Konsonanten, die aneinandergereiht sind. Das Wort Strumpf zum Beispiel besteht nur aus einer Silbe, die durch die vielen Konsonanten aber komplex und recht schwer auszusprechen ist.
Im Unterschied dazu prägen bei Sprachen wie spanisch oder italienisch offene Silben wie la und ta den Rhythmus. Solche Silben sind viel leichter auszusprechen, wodurch die Sprache insgesamt schneller wird.
Warum der Rhythmus einer Sprache beim Verstehen hilft
Die Forschung geht davon aus, dass die gehörte Sprache erst einmal aufgeteilt werden muss, damit sie verständlich wird. Dazu achtet der Zuhörer unbewusst auf Markierungen und Orientierungspunkte im Redefluss.
An dieser Stelle wird der Sprachrhythmus zu einem hilfreichen Instrument. Denn er macht es leichter, das Gehörte in Sinneinheiten zu gliedern und zu verarbeiten.
Wer zum Beispiel Türkisch hört und einen Wortakzent bemerkt, weiß, dass an dieser Stelle ein Wort endet und das nächste Wort beginnt. Im Englischen hingegen signalisiert eine betonte Silbe, dass jetzt ein bedeutsames Wort anfängt. Denn reine Funktionswörter wie the oder and bleiben in aller Regel unbetont.
Im Deutschen helfen einerseits die Betonungsmuster dabei, einzelne Sinneinheiten zu identifizieren. Andererseits zeigen auch bestimmte Verbindungen von Buchstaben, dass ein Wort an dieser Stelle endet.
Wie sich der Sprachrhythmus beim Lernen einbeziehen lässt
Beim Erlernen einer neuen Sprache kann der Rhythmus zum Stolperstein werden. Das liegt daran, dass der Lernende dazu neigt, den Rhythmus, den er von seiner Muttersprache gewohnt ist, auf die Fremdsprache zu übertragen.
Das kann lediglich zu einem starken Akzent führen, aber genauso zur Folge haben, dass das Gesprochene unverständlich ist.
Um sich den Rhythmus der neuen Sprache anzueignen, ist deshalb wichtig, sich viel mit der gesprochenen Sprache zu beschäftigen. Radiosendungen, Videos im Internet, Filme oder Serien im Fernsehen und natürlich Gespräche sind gute Möglichkeiten dafür.
Je öfter der Lernende die gesprochene Sprache hört, desto eher nimmt er die Besonderheiten bei der Aussprache und der Betonung wahr.
Dabei sollte er versuchen, ganz bewusst auf den Sprachrhythmus zu achten:
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Wo werden Akzente gesetzt? Auf jedem Wort, nur bei einigen Wörtern, lediglich am Ende eines Satzes?
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Was wird aus den unbetonten Silben? Werden Sie genauso lang ausgesprochen wie betonte Silben oder sind sie kürzer?
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Werden die einzelnen Wörter klar voneinander abgegrenzt oder verschwimmen sie miteinander?
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Wann werden Pausen gemacht?
Besonders hilfreich ist es, wenn der Lernende solche Fragen auch für seine Muttersprache beantwortet. Vergleicht er anschließend die Rhythmen beider Sprachen miteinander, kann er die Unterschiede aufspüren und so den einen oder anderen Fehler vermeiden.
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